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Wofür soll Krummendorf weichen?

Krummendorf müsste weichen, wenn die anscheinend schon beschlossene Hafenerweiterung tatsächlich die Vorteile mit sich brächte, von denen man in den beschließenden Gremien aufgrund nicht zu haltender Versprechen träumt.

Zu dem Schluss, dass die Hafenerweiterung anscheinend schon beschlossene Sache ist und diese den Ortsteil Krummendorf erfasst, zwingt der fortgesetzte Ankauf von Wohn- und Ufergrundstücken des Hafens im Ortsteil Krummendorf. Denn auch die HERO /Rostock Port unterliegt aufgrund deren öffentlich-rechtlicher Trägerschaft durch Stadt und Land den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Kommunalverfassung. Insoweit dürfen Vermögensgegenstände nur erworben werden, wenn dies zur Erfüllung von Aufgaben erforderlich ist. Ein Ankauf von Wohngrundstücken ohne entsprechende Planverfestigung wäre somit wohl verfassungswidrig.

 

Gerade aufgrund der schon jetzt bestehenden Verunsicherung in der Bevölkerung hat der zuständige Ortsbeirat Gehlsdorf-Nordost angefragt, nicht von wem oder konkret wo bereits im Ortsteil Flächen erworben wurden, sondern nur, ob der Ankauf über oder unter Verkehrswert erfolgte; denn der Verkehrswert von Wohngrundstücken erfasst gerade nicht die Finanzierungskosten, mit denen viele Familien belastet sind. Die HERO verweigert jedoch trotz der bestehenden kommunalen Auskunftspflicht jede Stellungnahme unter Verweis auf die schutzwürdigen Belange der Veräußerer – obwohl diese von den gestellten Fragen nicht im Ansatz berührt waren.

 

Durch die Hafenerweiterung verlieren nicht nur zahllose Krummendorfer Haus, Hof, ihr Zuhause, sondern Rostock auch das letzte Stück Warnowsteilküste und die früher als doch so wertvoll erachtete Schneise zur Frischluftzufuhr für Rostock.

 

Deswegen sollte sich jeder ein eigenes Bild von der Notwendigkeit der Hafenerweiterung machen und nicht blind den aus der Luft gegriffenen Versprechungen derjenigen glauben, deren eigener beruflicher Erfolg und Rechtfertigung von der Durchsetzung der Hafenerweiterung abhängt – unabhängig von deren Sinnhaftigkeit.

 

Ein realistisches Bild vom Bedarf für eine Hafenerweiterung bekommt man durch die Beantwortung folgender Fragen:

 

1. Was bringt der Seehafen Rostock bisher an Arbeitsplätzen und Einnahmen?

 

2. Inwieweit ist der Seehafen insbesondere im Hinblick auf die vorhandenen Flächen ausgelastet?

 

3. Welche Entwicklung des Seehafens ist zu erwarten?

 

4. Was kostet die Flächenausdehnung des Seehafens Rostock?

 

5. Was bringt die Erweiterung des Seehafens an zusätzlichen Arbeitsplätzen und Einnahmen für Rostock?

 

Nur wenn man sich diese Fragen stellt und auch beantworten kann, erst dann kann die Frage, ob eine Hafenerweiterung notwendig ist, seriös beantwortet werden. Nur werden sich insbesondere die HERO/Rostock Port und Rostock Business als herausragende Fürsprecher für die Hafenerweiterung winden, trotz hoffentlicher Kenntnis konkrete Zahlen zu benennen, weil dann tatsächlich eine sachliche Diskussion über den Bedarf für eine Hafenerweiterung entstehen könnte, da sämtliche heilsversprechenden Floskeln mit utopischen Arbeitsplatzzahlen und dem vermeintlich notwendigen Anschluss an den tatsächlich bereits gesättigten wirtschaftlichen Bedarf, insbesondere für den Bereich des Güterumschlages damit entzaubert sind.

 

Bisher sind folgende Antworten auf die Fragen bekannt:

 

1. Die rechnerisch ermittelte Zahl der bisher direkt oder indirekt durch den Hafen Beschäftigter liegt etwa bei 4.000. Die früher genannte Zahl von 12.000 ist eine reine Phantasiezahl. Addiert man nämlich die Beschäftigungszahlen der 13 größten Arbeitgeber im Hafen, kommt man dabei auf etwa 1.500 Beschäftigte, wobei annähernd 900 davon auf Liebherr entfallen. Selbst wenn man weiter die von offizieller Seite genannte Zahl von etwa 150 Firmen im und am Rostocker Hafen zugrunde legt und die durchschnittlichen Arbeitnehmerzahlen addiert, kommt man auf weitere 2.600 Beschäftigte. Mithin arbeiten im und am Seehafen Rostock insgesamt etwa 4.000 Beschäftigte.[1]

 

Am Erstaunlichsten ist jedoch der Beitrag des Hafens für die leere Stadtkasse. Anscheinend besteht seit längerem eine Vereinbarung, wonach die HERO/Rostock Port trotz einer Beteiligung der Stadt in Höhe von etwa 75 % keine Gewinne – insbesondere durch ihre Einnahmen aus Hafenentgelten, Mieten und Pachten – an die Hansestadt Rostock abführt.[2] Insoweit würde die Hafenerweiterung primär lediglich der HERO und nicht der Hansestadt Rostock zu Gute kommen. Für diese verbleibt es bei den bisher eher bescheidenen Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuern. Diese belaufen sich z. B. von ca. 15 im Bereich des Seehafens angesiedelten Unternehmen mit wirtschaftlicher Bedeutung zwischen 2006 und 2010 auf jährlich 1,3 bis 3 Mio. Euro.[3] Im Vergleich dazu gibt die IHK an, dass ihr angehörende Unternehmen jährlich ca. 70 Mio. Euro an die Stadt abführen. Weiter fließen jährlich Gewinne der WIRO in Höhe von 6 bis 12 Mio. Euro und von den Stadtwerken in Höhe von 12 bis 14 Mio. Euro über eine Holding in die Querfinanzierung anderer städtischer Unternehmen, wie z. B. der Rostocker Straßenbahn AG, um deren Defizite auszugleichen. Selbst das Südstadtklinikum soll etwa die Hälfte seiner Gewinne abführen.

 

2. Man kann es bisher nur so formulieren: Die Kapazitätsgrenze des Hafens insbesondere für den Güterumschlag wird in absehbarer Zeit nicht erreicht werden. Es ist schon jetzt so, dass auf dem Hafengelände Unternehmen angesiedelt werden, die nicht unmittelbar auf die Hafennutzung angewiesen sind, nur um überhaupt eine relevante Flächenauslastung sicherzustellen. Im Übrigen sind keine Interessenten für eine unmittelbare Hafennutzung bekannt, denen trotz nachweisbarem Interesse mangels Fläche hätte abgesagt werden müssen. Alles andere ist der bloße Versuch, eine Industrieansiedelung in den Deckmantel einer notwendigen Hafenerweiterung zu kleiden, um die damit einhergehenden Folgen für die Öffentlichkeit in ein erträgliches Licht rücken zu können.

 

3. Es wurde bisher eine Entwicklungsprognose präsentiert, die so unrealistisch war, dass sie sich bereits jetzt überholt hat.[4]

a) Tatsächlich ist der Hafen konstant mit rückläufigen Umschlagszahlen konfrontiert. Insbesondere Mitte 2012 und Anfang 2013 wurde von einem Rückgang zwischen 5 und 7 % berichtet.[5] Grund dafür waren aber nicht die fehlenden Kapazitäten, sondern die angeblich stagnierende wirtschaftliche Entwicklung und der Ausbau der Bahnverbindung Rostock-Berlin.

b) Auch hinsichtlich der mittelfristigen Prognose ist diese schon deswegen nicht mehr realistisch, weil der dieser zugrunde liegende Ausbau der Fahrrinnenvertiefung auf 16,5 m vom Bund in Frage gestellt wurde und ohne die entsprechende Mittelzurverfügungstellung das Projekt nicht umgesetzt werden kann.[6] Weiter wird es auch keine Überhänge beim Umschlagbedarf geben, die Rostock auffangen könnte. Auch der Lübecker und Hamburger Hafen haben nämlich in letzter Zeit ihre Umschlagziele verfehlt und wesentlichen Kapazitäten frei.[7] Die Praxis zeigt auch, dass das klassische Glaskugelargument "wenn wir erst das Angebot zur Verfügung stellen, kommen auch die Unternehmen" den neu errichteten Jade-Weser-Port in wirtschaftlich größte Bedrängnis bringt. Dort wurde genau diese Strategie verfolgt und jetzt Kurzarbeit angemeldet, weil die notwendigen Umschlagzahlen  fehlen.[8] Das Jahrhundertprojekt entwickelt sich so zum Milliardengrab. Auch das spricht für eine Sättigung des Marktes.

c) Langfristig wird somit sogar eher von einem Rückgang der Umschlagzahlen auszugehen sein. Wesentliche Faktoren dazu werden die Fehmarn-Belt-Querung, die Auswirkungen der Reduzierung des Schwefelgehaltes in Schiffskraftstoffen und rückläufige Subventionen aus Europa, dem Bund und Land sein.[9]

4. Es ist nicht bekannt, dass bereits eine Kostenschätzung vorliegt, die insbesondere auch die notwendigen Entschädigungsansprüche der betroffenen Grundeigentümer enthält.

 

5. Belastbare Zahlen vor einem realistischen Hintergrund für die möglichen zusätzlichen Arbeitsplätze sind bisher nicht genannt.[10] Vor dem Hintergrund der absehbaren wirtschaftlichen Entwicklung und den bekannten langfristigen Faktoren wird die Anzahl der Beschäftigten von Unternehmen, die auf die unmittelbare Hafennutzung angewiesen sind, maximal gleich bleiben.

 

Nach alledem stellt sich die Frage, warum in Rostock genau das funktionieren soll, was bei keinem anderen vergleichbaren Hafen nachweislich funktioniert hat? Vielmehr entsteht der Eindruck, dass hier unter dem Deckmantel der Hafenerweiterung ein Industriestandort im Grünen mit Wasserblick ausgestattet werden soll. Und dafür soll Krummendorf weichen?

 

Ansprechpartner : Dr. med. habil. Manfred Rißmann Tel.: 0381/6752163   e-mail: mkl.rissmann[at]gmx.de

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[1] Berechnung anhand von Unternehmenszahlen (Anlage 1)

[2] "Nicht mehr zeitgemäße Vereinbarung" Warnow-Kurier am 11.08.2012 (Anlage 2); "Bauermeister nennt keine Zahlen", Warnow-Kurier am 03.04.2013 (Anlage 3)

[3] Antwort des Senators für Finanzen der Hansestadt Rostock vom 11.05.2011 auf Anfrage des Ortsbeirates Rostock Nordost  (Anlage 4)

[4] "Umschlag in deutschen Ostseehäfen" (mit korrigiertem Prognoseverlauf, (Anlage 5)

[5] "Weniger Umschlag im Rostocker Seehafen", Ostseezeitung am 12./13.01.2013 (Anlage 6); "Rund 5 Prozent weniger", Warnow-Kurier am 16.01.2013 (Anlage 7); "Wirtschaftsflaute trifft Rostocks Hafen", Ostseezeitung am 18./19.08.2012 (Anlage 8)

[6] "Rostocker Hafenzufahrt: Bund sagt Vertiefung ab" (Anlage 9)

[7] "Umschlag in Lübecker Hafen weiter rückläufig" (Anlage 7); "Hamburger Hafen verfehlt Umschlagziele deutlich" (Anlage 7)

[8] "JadeWeserPort: Super-Hafen ohne Fracht" (Anlage 10)

[9] "EU dreht den Geldhahn zu: MV kämpft um 600 Millionen", Ostseezeitung am 23.02.2013 (Anlage 11)

[10] Tatsächlich wurde lediglich zur Stimmungsmache die Zahl von möglichen 30.000 Arbeitsplätzen bei einer Hafenerweiterung genannt. Wie unrealistisch dieser Wert ist, zeigt allein der dafür notwendige Flächenbedarf. Liebherr wird als Unternehmen mit günstigem Flächenbedarf pro Mitarbeiter angesehen: dieser beträgt 282 m²/pro Mitarbeiter; EEW benötigt im Gegensatz dazu etwa 817 m²/pro Mitarbeiter. Würde man demnach auf Grundlage von Liebherr die Zahl der bisher Beschäftigten von 4.000 auf 30.000 steigern wollen, bestünde ein zusätzlicher Flächenbedarf von 733 ha. Auf Grundlage der Zahlen von EEW würde  sage und schreibe eine Fläche von 22 km² zur Hafenerweiterung notwendig sein.

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